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Struktur des Nukleons

Die elementaren Bausteine des Nukleons sind Quarks und Gluonen. Diese werden sichtbar, wenn das Nukleon z. B. mit hochenergetischen Leptonstrahlen durch hohe Energie und Impulsüberträge abgetastet wird. Dabei können Längenskalen bis $10^{-18}$m, entsprechend einem tausendstel Durchmesser des Nukleons, und Zeitskalen bis $10^{-26}$s aufgelöst werden. Dies ist der Energiebereich der Hochenergiephysik. Zu kleineren Impuls- und Energieüberträgen hin ändert sich das Bild. Es werden zunehmend nicht mehr nur die elementaren geladenen Quarks gesehen, sondern auch ein polarisierter Teil des die Quarks umgebenden Vakuums. Ähnlich, wie eine elektrische Ladung in einem dielektrischen Medium eine Polarisation hervorruft, wirkt die vom elementaren Quark ausgehende starke Kraft polarisierend auf das Vakuum. D. h. aber auch, daß die QCD-Struktur des Vakuums eine entscheidende Rolle dafür spielt, welche Eigenschaften die dann ,,effektiven``Konstituenten des Nukleons haben. Für diesen niederenergetischen Bereich, bei dem Längenskalen zwischen einem und einem Zehntel des Nukleonradius wichtig sind, gilt es, die zu einer quantitativen Beschreibung der Nukleonstruktur relevanten Freiheitsgrade zu finden.
Schon früh konnten mit Hilfe der elastischen Elektronenstreuung die Ladungs- und Stromverteilungen des Protons mit relativ guter Genauigkeit gemessen werden. Erst in den letzten Jahren gelang es u. a. an MAMI [1] und ELSA [2], diese Größen auch am Neutron mit fast vergleichbarer Genauigkeit zu messen. Die elektromagnetischen Polarisierbarkeiten von Neutron und Proton wurden u. a. an MAMI [3] mit Experimenten der Comptonstreuung extrahiert. Aufgrund der Präzision der Daten konnte erstmals nachgewiesen werden, daß Proton $\underline{und}$ Neutron paramagnetisch sind.
Quarks können nicht aus dem Nukleon herausgestoßen bzw. als freie Teilchen produziert werden. Dies ist eine ungewöhnliche Eigenschaft für Konstituenten eines zusammengesetzten Systems. Selbstverständlich lassen sich Atome ionisieren und Kerne in Fragmente zerlegen, einen der Kernspaltung analogen Prozeß gibt es für Protonen oder Neutronen nicht.
Bei Zuführung einer Schwellenenergie gelingt es aber, dem Quarksystem im Nukleon soviel Energie zuzuführen, daß sich Quark-Antiquark-Paare bilden können, die als Anregungen des QCD-Vakuums zu verstehen sind und sich frei ausbreiten können. Solche Quark-Antiquark-Paare gehören zur Klasse der Hadronen, wie auch Neutron und Proton als gebundene Systeme der elementaren Bausteine der stark wechselwirkenden Teilchen.
Die kleinste Energie (Masse) dieser durch Quantenzahlen, wie Parität und Drehimpuls, zu unterscheidenden und Mesonen genannten Teilchen hat das Pion. Diese liegt mit 140 MeV/$c^2$ beträchtlich niedriger als die erste Anregung des Nukleons mit einer Anregungsenergie von 300 MeV/$c^2$. Das Pion manifestiert damit die niedrigste Anregungsmode des QCD-Vakuums und spielt deshalb auch eine Schlüsselrolle für die Struktur des Nukleons.
Gerade in den letzten Jahren wurde, nicht zuletzt durch präzise Messungen der Pionproduktion an MAMI [4], ein Durchbruch in der Beschreibung des Nukleons im statischen Grenzfall erzielt. Mit der Entwicklung der chiralen Störungstheorie wurde eine Lösung im Rahmen der Symmetrien der QCD gefunden. Anschaulich gesprochen ,,sieht`` man bei einer Ortsauflösung von etwa drei Nukleon-Durchmessern das Nukleon als bestehend aus einer Pionwolke. Dieses phänomenologisch schon früh erschlossene Bild für das Nukleon hat jetzt aufgrund der Formulierung der QCD eine neue Bedeutung. Detaillierte Vorhersagen dieser Theorie können in diesem Grenzgebiet überprüft werden.
Neben experimentellen Untersuchungen am Grundzustand des Nukleons sind Studien an Übergängen in angeregte Zustände zum Verständnis der Struktur des Nukleons wichtig und in hohem Maße modelldiskriminierend. So kann z. B. durch eine präzise Vermessung des Übergangs zum ersten angeregten Zustand bestimmt werden, ob die Ladungsverteilung des Grundzustands und/oder dieses angeregten Zustands radialsymmetrisch oder deformiert ist. Messungen an ELSA [5] und MAMI [6] konnten die Präzision der bisherigen Daten soweit steigern, daß jetzt von einer Nicht-Gleichverteilung der Ladung ausgegangen werden muß.
In der bisherigen Diskussion wurde angenommen, daß nur die leichtesten Quarks, zusammen mit den Gluonen, die Struktur des Protons und Neutrons bestimmen. Aus Experimenten der Hochenergiephysik ist bekannt, daß aufgrund der Fluktuationen des Vakuums auch schwerere Quarks und Antiquarks als Bestandteile des Nukleons gesehen werden können, hier insbesondere die sogenannten ,,Strange``-Quarks. Spielen diese Freiheitsgrade bei niedrigeren Energieüberträgen, d. h. über längere Beobachtungszeiten gemittelt, noch eine Rolle? Z. Zt. gibt es keine sichere Information, aber mehrere Hinweise, daß Strange-Quarks auch bei niedrigen Energie/Impulsüberträgen eine dynamische Rolle spielen. Während das Pion nur aus u- und d-Quarks besteht, enthalten $\eta$- und K-Mesonen auch Strange-Quarks. Damit sind Experimente, in denen $\eta$- und K-Mesonen erzeugt werden, auf einen verborgenen Gehalt an Strangeness im Nukleon empfindlich. Photo- und Elektroproduktionsexperimente von $\eta$-Mesonen am Proton und, erstmals, am Neutron wurden an ELSA [5] und MAMI [8] durchgeführt. Neben Messungen von Wirkungsquerschnitten, die Antwort über Stärke des Übergangs geben, wurden auch Asymmetrien an polarisierten Protonen gemessen, deren Ergebnisse die Sensitivität des Prozesses von der Ausrichtung des Drehimpulses des Nukleons anzeigen [9]. Die Daten zeigen, wie erwartet, klar die Dominanz der S$_{11}$-Resonanz, aber zum erstenmal wurden auch weitere Beiträge zweifelsfrei identifiziert. Diese Resultate tragen deshalb auch zur Beantwortung der Frage bei, warum nur wenige angeregte Zustände des Nukleons unter Emission eines $\eta$ zerfallen. Diese Frage führte schon zu einer Reihe von Rechnungen, darunter [10,11,12], mit verschiedenen Ansätzen. Es ist jedoch noch zu früh, um daraus definitive Schlüsse ziehen zu können. Resultate der Photoproduktion von K$^+$-Mesonen [13] an ELSA erweiterten den vorhandenen Datensatz beträchtlich und fügten Informationen aus bisher nicht zugänglichen Polarisationsmessungen hinzu. Sie sind der Anstoß für eine Reihe von theoretischen Untersuchungen [14,15,16,17] gewesen.
Modelle des Nukleons, basierend auf verschiedenen Freiheitsgraden, sagen eine verschiedene Anzahl von Anregungsmoden voraus. So wurden 2/3 der von Konstituentenquarkmodellen des Nukleons vorhergesagten Anregungsmoden experimentell - noch ? - nicht gefunden. Andere Modelle, die z. B. eine starke Diquarkkomponente enthalten, kommen mit weniger Anregungszuständen aus und entsprechen daher mehr der Beobachtung.
Die Struktur des Nukleons zeigt sich auch darin, wie sich der Gesamtdrehimpuls des Nukleons aus den Drehimpulsen seiner Konstituenten zusammensetzt. Messungen bei hohen Energien ergaben, daß bis dahin angenommene vereinfachende Annahmen nicht ausreichen, auch nur qualitativ die Ergebnisse zu beschreiben. Direkte Messungen gibt es zu dieser Frage im diskutierten Energiebereich noch nicht.
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Frank Frommberger
2000-02-07