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Freiheitsgrade in Kernmaterie

Kernmaterie ist im kalten Zustand ein gebundenes System von Nukleonen. In diesem System manifestieren sich bemerkenswerte Eigenschaften des stark wechselwirkenden Vielteilchensystems. Weil der Durchmesser der Nukleonen etwa gleich dem mittleren Abstand in Kernmaterie ist, spielt die innere Struktur der Nukleonen auch für die Struktur der Kernmaterie eine wichtige Rolle. D. h. nukleare und subnukleare Freiheitsgrade bestimmen diese Struktur.
In einer Reihe von Experimenten konnten subnukleare Freiheitsgrade in Kernen identifiziert werden. Durch die elektromagnetische Wechselwirkung vermittelte Reaktionen sind besonders gut dazu geeignet, z. B. Mesonaustauschströme sichtbar zu machen und deren Raum-Zeit-Verhalten zu untersuchen. Experimenten am Deuteron, dem ersten gebundenen System von Nukleonen, kommen dabei eine Schlüsselrolle zu [18]. Auch Experimente, die explizit die Resonanzanregung des Nukleons in Kernen untersuchen und die erlauben, eine gegenüber dem ungebundenen System modifizierte Stärkeverteilung zu extrahieren, sind wichtige Meilensteine zum Verständnis der Kernmaterie. Mit hoher Präzision wurden in den letzten Jahren solche Stärkeverteilungen, hier insbesondere mit MAMI, gemessen [19,20]. Eine qualitative Beschreibung dieser totalen Stärkeverteilungen gelingt [21], wenngleich bei diesem Themenkomplex die tieferen Einsichten von der Beschreibung subtilerer Effekte abhängen werden, deren experimentelle Untersuchungen gerade erst beginnen, z. B. der $\gamma$-Streuung über das Gebiet der Nukleonresonanzen [22] und der kohärenten Produktion von Mesonen [23].
Grundsätzlich kann aber festgestellt werden, daß die aussagekräftigsten Experimente noch nicht durchgeführt wurden und dafür auch erst jetzt das notwendige Instrumentarium zur Verfügung steht, u. a. bei ELSA und MAMI. In Teilgebieten gibt es hervorragende Daten. So ist für viele Kerne die Ladungsverteilung mit hoher Präzision bekannt, sind totale Absorptionswirkungsquerschnitte gut vermessen, ganz zu schweigen von dem umfangreichen Datenmaterial der Niederenergiekernphysik. Vieles deutet darauf hin, daß die Bindung im Kern die Eigenschaften des freien Nukleons nicht stark ändert. Aber quantitative Aussagen, wie groß diese Änderungen wirklich sind, stehen noch aus. Kernmaterie ist ein hochkorreliertes System von Nukleonen. Stärke und Natur z. B. der kurzreichweitigen Korrelationen [24] zeigen sich aber bis jetzt nur in Andeutungen [25].
In Perspektive gesetzt, bedeuten neue Erkenntnisse über das komplexe Vielteilchensystem Kernmaterie Fortschritte im Verständnis des Universums, z. B. des frühen Universums, der Bildung der Elemente, Supernovae und Neutronensterne.
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Frank Frommberger
2000-02-07