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Struktur des Nukleons

Präzise Daten für die Nukleonformfaktoren und die Observablen der sind der Schlüssel für das Verständnis der Nukleonstruktur. Die Nukleonresonanzen werden charakterisiert durch Anregungsenergie, Resonanzbreite und den Verlauf der Übergangsformfaktoren als Funktion des Impulsübertrags. Wichtige Hinweise über die Struktur sind auch in den Verzweigungsverhältnissen der Zerfälle enthalten.
Eine systematische Untersuchung wird durch die großen Resonanzbreiten bei gleichzeitig geringem Abstand der Resonanzenergien erheblich erschwert. Im Mittelpunkt des Meßprogramms stehen deshalb zunächst keine ,,flächendeckenden`` Untersuchungen über das ganze Anregungsspektrum der Nukleonresonanzen, sondern sehr gezielte Fragestellungen.
Mit Blick auf das Verständnis der Kernkräfte ist das Studium der niedrigliegenden Resonanzen von besonderem Interesse. Bei der Anregung der ersten magnetischen Resonanz, $\Delta(3,3)$, ist nicht die Bestimmung der dominierenden magnetischen Dipolamplitude das Ziel, sondern die Messung der mehr als eine Größenordnung kleineren elektrischen Quadrupolamplitude. Diese ist sensitiv auf die Abweichungen von einer radialsymmetrischen Übergangsladungsverteilung ist. Solche nicht-radialsymmetrischen Verteilungen sind eine Signatur nicht-zentralsymmetrischer Kräfte. sind Kräfte mit einer nicht-trivialen Abhängigkeit von der Orientierung der Nukleonspins; das Quadrupolmoment des Deuterons ist ein schönes Beispiel für die Präsenz von Tensorkräften als Komponente der Kernkraft. Nachdem in den letzten Jahren Messungen an ELSA mit der Reaktion $p(e,e'\pi^0)p$ und an MAMI mit der Reaktion $p(\gamma,p)\pi^0$ klar etabliert haben, daß eine Abweichung von einer Radialsymmetrie des N/$\Delta$ existiert, gilt es nun, durch Messung des Quadrupolübergangsformfaktors die räumliche Verteilung zu bestimmen. Mit einem Flugzeitspektrometer mit großer Impuls- und Raumwinkelakzeptanz werden die Rückstoßprotonen der Reaktion $p(e,e'p)\pi^0$ azimutsymmetrisch um die Richtung der partiell polarisierten virtuellen Photonen spektroskopiert. Z. Zt. einzigartig wird die Messung derselben Observablen am im Deuteron gebundenen Proton und Neutron sein. Bindungseffekte könnten hier den am freien Nukleon gemessenen Wert verändern. Deswegen wird am Deuteron neben dem Neutron simultan auch das Proton gemessen, damit dort eine denkbare Änderung festgestellt werden kann. Es sind auch Messungen der gleichen Reaktion mit einem polarisierten Elektronenstrahl vorgesehen. Die Daten einer solchen Messung sind wichtig zum Verständnis kleinerer, nicht-resonanter Beiträge, deren Unkenntnis die Größe des systematischen Fehlers bestimmt.
Die Quadrupolamplitude der Photoproduktion wird von jüngsten Rechnungen [28] gut wiedergegeben. Resultate von früheren Rechnungen für die Elektroproduktion stimmen mit dem kleinen, mit relativ großem Fehler behafteten Datensatz nicht überein.
Die in der Anregungsenergie nächsthöhere Resonanz nach der $\Delta$-Resonanz ist die Roper-Resonanz. Sie hat die gleichen Quantenzahlen wie das Nukleon. Als nimmt sie eine Sonderstellung ein. In Quarkmodellen wird sie als radiale Anregung der Quarkverteilung beschrieben. Die niedrige Masse und der Verlauf der elektromagnetischen Übergangsformfaktoren wird von den meisten Modellrechnungen nicht richtig wiedergegeben. Es werden deshalb gerade für die Beschreibung dieser Resonanz immer wieder Modelle vorgeschlagen, die von anderen Freiheitsgraden ausgehen. So entsteht diese Resonanzanregung im Rahmen von hadronischen Freiheitsgraden durch eine resonante Kopplung zwischen Nukleon und Pionwolke [29]. Bei anderen Ansätzen gilt die Roper-Resonanz auch als Evidenz für das Vorhandensein von expliziten Gluonfreiheitsgraden [30]. Die vorhandenen Daten sind aber nicht genau genug, um zu entscheiden, ob einem dieser Ansätze der Vorzug zu geben ist. Messungen der Reaktion $N(\gamma,\pi^0 \pi^0)N$ am Neutron und Proton werden ebenso durchgeführt wie Messungen der Elektroproduktion bei Impulsüberträgen bis zu $Q^2$ = 0.5 $(GeV/c)^2$. Besonders interessant, weil modelldiskriminierend, ist dabei der Verlauf des Übergangsformfaktors in der Nähe des Photonenpunkts und die Stärke des longitudinalen/skalaren Anteils. Zur Trennung der verschiedenen Anteile werden polarisierte Strahlen und Targets nötig sein.
Das Anregungsspektrum des Nukleons wurde gut mit der Reaktion $\pi + N
\rightarrow \pi + N$ vermessen. Mit dieser Reaktion wurden auch die meisten der experimentell gesicherten Resonanzen gefunden. Rechnungen im Rahmen des nicht-relativistischen Quarkmodells sagen aber ein viel reicheres Anregungsspektrum von Resonanzen voraus. Wenn die vorausgesagten Zustände nicht existieren, ist das ein Hinweis auf weniger interne Freiheitsgrade. Modelle einer reduzierten Zahl von Baryonen-Resonanzen sind z. B. Diquarkmodelle, in denen zwei Quarks so stark gebunden sind, daß Freiheitsgrade wegfallen. Es stellt sich die Frage, ob diese Resonanzen bisher unentdeckt blieben oder ob sie nicht existieren. Die Suche nach diesen muß sich auf andere Zerfallskanäle als den bisher untersuchten ($\pi N$)-Kanal konzentrieren. Aus theoretischen Überlegungen wird erwartet, daß zumindest einige Resonanzen sich stark an Zerfallskanäle wie $p \rho$, $p \omega$ und $\Delta \pi$ und auch $\gamma p$ koppeln. Besonders gut geeignet für die Suche nach fehlenden Resonanzen ist der ( $\gamma p \rightarrow \omega p$)-Kanal. Mit dem Großraumdetektor SAPHIR an ELSA kann das $\omega$-Meson wegen seiner kleinen Zerfallsbreite gut nachgewiesen werden. Da das $\omega$- Meson Isospin I = 0 hat, werden nur Übergänge des Isospinkanals I = 1/2 selektiert. Diese Selektion eliminiert Beiträge von $\Delta$-Anregungen und gestattet daher eine gute Identifikation einer Resonanz. Eine starke Kopplung an den $\omega$-Kanal [31] wird z. B. für eine Anregung bei 1.950 GeV vorausgesagt. Diesen Vorteilen steht auch ein Nachteil gegenüber; wegen der diffraktiven Konkurrenzprozesse muß bei relativ hohen Impulsüberträgen gemessen werden - mit entsprechend kleinen Wirkungsquerschnitten. Die Ereignisrate ist aber groß genug, um Resonanzen dieser Art zu finden.
Oberhalb einer Energie von 940 MeV ist es möglich, Hyperonen zu produzieren. Die Ersetzung z. B. eines der u-Quarks im Proton durch ein Strange-Quark macht aus dem Proton ein $\Lambda $. Die größere Masse und das Einbringen des Strange-Freiheitsgrades erlaubt erweiterte sensitive Tests der Baryonmodelle. Neben dem Studium von Resonanzen kann bei höheren Energien die Dynamik der Quarks unter diesen neuen Gesichtspunkten berechnet werden. Durch Beobachtung der Zerfallsteilchen des Hyperons gelingt auf relativ einfache Weise die Messung der Polarisation der erzeugten Hyperonen. Mit einem polarisierten Strahl und einem polarisierten Target wird eine vollständige Bestimmung der Amplituden dieser Reaktion möglich werden. Darüber hinaus gelingt eine Isospinzerlegung der Amplituden durch Messungen am Neutron und am Proton. Mit den Resultaten dieser Messungen und den begleitenden theoretischen Untersuchungen wird die Frage nach dem in einem neuen Licht erscheinen.
Der eventuelle Beitrag von Seltsamkeit in der Wellenfunktion des Nukleons wird bei einer gänzlich anderen Fragestellung zur Nukleonstruktur wiederum aktuell, nämlich bei der Frage nach der Spinstruktur des Nukleons. Für die frühe Akzeptanz des Quarkmodells war die fast quantitative Beschreibung des Verhältnisses der magnetischen Momente von Proton und Neutron wichtig. Weitere Daten von magnetischen Momenten z. B. von Hyperonen stützten die Aussagen der Quarkmodelle bezüglich des Spins. Es war deshalb eine Überaschung, als Messungen von der EMC-Kollaboration mit einem hochenergetischen Muonstrahl das frühere Bild erschütterten, nach dem sich der Spin des Nukleons aus dem Spin der u- und d-Quarks zusammensetzt. Nach heutigem Wissen tragen die u- und d-Quarks mit ihren Spins zu weniger als 50 Prozent zum Gesamtspin des Nukleons bei. Für den Rest sind Beiträge der Strange-Quarks und auf die chirale Struktur des QCD-Vakuums zurückzuführende Anomalien verantwortlich.
Wie im Bereich von hohen Impulsüberträgen gibt es auch bei niedrigen Energien auf den Eckpfeilern der Theorie basierende Summenregeln. Die GDH-Summenregel verknüpft den Wert des magnetischen Moments des Nukleons, also einer statischen Größe, mit dem Integral über die Energie für den totalen Absorptionswirkungsquerschnitt von zirkular polarisierten reellen Photonen. Die Integration muß über einen großen Energiebereich (bis 3 GeV) durchgeführt werden. Dies ist nur in enger Zusammenarbeit der beiden Labors in Bonn und Mainz möglich. Messungen des totalen Wirkungsquerschnitts für zirkular polarisierte $\gamma$-Quanten sollen daher sowohl an MAMI für niedrige als auch an ELSA für hohe Energien durchgeführt werden. Zum Test von Modellen ist auch eine Überprüfung der Abhängigkeit des GDH-Integrals als Funktion des Impulsübertrags wichtig. Mit der inklusiven Reaktion $\vec p ( \vec e , e' )$ wird diese Reaktion am ELAN-Meßplatz untersucht. Das vorhandene Magnetspektrometer ist, wegen seiner großen Impulsakzeptanz, zum Nachweis der gestreuten Elektronen hervorragend geeignet. Der nächste Schritt, zu explorieren, wird mit exklusiven Prozessen der Einfachphotopionproduktion am Nukleon bei Energien über dem Resonanzbereich angegangen. Daten vom DESY deuten daraufhin, daß ab Impulsüberträgen von t = -0.5 $(GeV/c)^2$ die Produktion der Pionen von der Absorption der Photonen an Quarks bestimmt wird. Experimente mit polarisierten Photonen an einem polarisierten Target werden diese Hypothese überprüfen können. Das Experiment wird aus Intensitätsgründen an einem Bremsstrahl am ELAN - Meßplatz vorgesehen.
Bei niedrigen Energien in der Nähe des statischen Grenzfalls kann das Nukleon als punktförmiges Dirac-Teilchen mit einer Wolke von Goldstone-Bosonen betrachtet werden. Die relevanten Freiheitsgrade sind hadronischer Natur. Mit der chiralen Störungstheorie (CHPT) existiert ein Rahmen, der es gestattet, alle Reaktionen mit $\pi$-Mesonen bei niedrigen Energien miteinander in Beziehung zu setzen. Präzise Messungen der Photo- und Elektroproduktion von $\pi$-Mesonen erlauben deshalb aussagekräftige im Sektor der Baryonen. Zu den Goldstone-Bosonen gehören aber auch die K- und $\eta$-Mesonen; eine besondere Rolle spielt zusätzlich das $\eta$'-Meson wegen seiner starken Mischung mit dem $\eta$-Meson. Zur Beschreibung derartiger Reaktionen ist sicherlich noch ein langer Weg zurückzulegen. Um diese Mesonen in den Rahmen der Theorie aufzunehmen, muß die CHPT um den Freiheitsgrad, den das Strange-Quark einbringt, erweitert werden. Wegen der großen Strange-Quarkmasse sind die Schleifenkorrekturen groß, und Rechnungen müssen höhere Ordnungen berücksichtigen, als dies für den Fall von u- und d-Quarks nötig ist. Präzise Daten für die Photo- und Elektroproduktion von K-, $\eta$- und $\eta$'-Mesonen könnten - wie schon bei der Pionproduktion - die Initialzündung für theoretische Untersuchungen für den Strange-Sektor der CHPT geben. Die Wirkungsquerschnitte in Schwellennähe sind klein, können aber im Falle der Photoproduktion am Proton mit den Reaktionen p($\gamma,K^2$)$\Lambda $ p($\gamma$,p)$\eta$/$\eta$' untersucht werden. Sehr nahe der Erzeugungsschwelle, also dem hier interessierenden Gebiet, werden alle Protonen in einen engen Kegel emittiert und können mit dem an ELAN existierenden Magnetspektrometer analysiert werden. Auch hier ist wegen der kleinen Produktionsquerschnitte die Nutzung des Bremsstrahls angebracht.

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Frank Frommberger
2000-02-07