Sprungquadrupole

Arbeitspunktspringen

Die Polarisation bleibt beim hinreichend schnellen Durchkreuzen der depolarisierenden Resonanzen fast vollständig erhalten. Dies kann außer bei extrem schwachen Resonanzen durch eine schnelle Energierampe nicht mehr erreicht werden.

Für intrinsische Resonanzen hat man aber noch einen zweiten Parameter, der für die Kreuzung maßgeblich ist, nämlich den vertikalen Betatronarbeitspunkt. Es gibt deshalb zusätzlich die Möglichkeit, die Kreuzungsgeschwindigkeit zu erhöhen, indem man den vertikalen Betatronarbeitspunkt schnell ändert, wenn der Spinarbeitspunkt in die Nähe einer Resonanz kommt.

Betatronarbeitspunkte werden durch die Beschleunigeroptik bestimmt. Den Hauptbeitrag dazu geben die zur Strahlfokussierung benötigten Quadrupolmagnete. Durch Variation der Fokussierungsstärke kann man die Arbeitspunkte festlegen. Schnelle Änderungen, wie sie zum erfolgreichen Kreuzen der Resonanzen benötigt werden (mit Pulszeiten <10 µs), sind mit diesen Magneten jedoch nicht möglich, so daß Zusatzelemente eingebaut werden müssen.

Im einzelnen sieht das Resonanzspringen dann so aus: Während der Beschleunigung steigt der Spinarbeitspunkt proportional zur Energie an. Wenn er sich einer intrinsischen Resonanz annähert, wird zu einer Zeit t0 der vertikale Arbeitspunkt abrupt abgesenkt oder erhöht (je nach Vorzeichen der Resonanz), so daß die Resonanz in sehr kurzer Zeit durchkreuzt wird. Danach wird der ursprüngliche Arbeitspunkt langsam und in ausreichendem Abstand von der Resonanz wiederhergestellt. Mit den so erzielten sehr hohen Kreuzungsgeschwindigkeiten hat der Spinvektor keine Zeit, nennenswert abgelenkt zu werden.

Die Sprungzeit gilt es so klein wie möglich zu halten, um eine möglichst große Kreuzungsgeschwindigkeit zu erzielen und für die stärksten Resonanzen größere Polarisationsverluste zu vermeiden.

Der Arbeitspunkthub muß ausreichen, um eine Resonanz vollständig zu überspringen. Resonanzstärke, Energieunschärfe und Arbeitspunktverteilung führen zu einer gewissen Breite der Resonanz, die übersprungen werden muß.

Die Abklingzeit  muß so gewählt werden, daß sich nach dem Kreuzen der Abstand zur Resonanz nicht verringert. Andererseits ist die Abklingzeit begrenzt durch den zeitlichen Abstand zur nächsten Resonanz. Hierbei muß der Arbeitspunktsprung auch bei der nächsten Imperfection-Resonanz schon beendet sein, da die veränderte Optik deren Korrektur (z.B. harmonische Korrektur) beeinflussen würde.

Bei ELSA müssen ab Injektion bei 1,2 GeV bis zur Endenergie von 3,5 GeV fünf intrinsische Resonanzen gekreuzt werden werden. Das Sprungquadrupolsystem wurde daher so ausgelegt, daß maximal 5 Pulse während einer Beschleunigungsrampe erzeugt werden können.

Nähert sich der Spin-Arbeitspunkt einer intrinsischen Resonanz, werden die Tunejump-Magnete gepulst und ändern den Arbeitspunkt. Da der exakte Zeitpunkt für die Kreuzung wegen nur ungenauer Energiebestimmung in ELSA nicht genau bekannt ist, müssen die Pulsrampen auf einem weiten Bereich möglichst linear sein. Dann nämlich ist die Kreuzungsgeschwindigkeit immer gleich groß, unabhängig davon, auf welchem Teil der Pulsflanke tatsächlich gekreuzt wird. Die Triggerzeitpunkte müssen experimentell optimiert werden. Unsicherheiten bleiben wegen der schwierigen Arbeitspunktreproduzierbarkeit bestehen. Entsprechende Anforderungen müssen an die Genauigkeit der Pulszeitpunkte und die Linearität der Pulsrampe für die Netzgeräte gestellt werden. Da verschiedene intrinsische Resonanzen gekreuzt werden müssen, finden entweder bipolare Netzgeräte Verwendung oder solche, deren schnelle Flanke mit der langsamen vertauscht werden kann. Da letztere schwieriger zu realisieren sind, wählt man zweckmäßigerweise bipolare Netzgeräte.

Aus der Bedingung, daß auch die stärkste Resonanz Polarisationsverluste von nicht mehr als 1% erzeugen soll, ergeben sich die Spezifikationen für das System: Die ansteigende Flanke darf 4 bis 14 µs dauern, die abfallende 4 bis 20 ms. Die Amplitude muß bipolar jeweils einen Arbeitspunkthub von 0,1 erzeugen. Dies entspricht für jeden der beiden Sprungquadrupole einem Strom von max. 500 A.

Schnelle Quadrupolmagnete

Ein Panofsky-Magnet mit quadratischem Querschnitt hat, gegenüber einem mit rechteckigem, Vorteile bezüglich des Multipolgehalts des Magnetfeldes. Auch die Induktivität nimmt für ein quadratisches Profil ein Minimum an. Aus diesen Überlegungen und nicht zuletzt wegen der einfacheren technischen Realisierung wurde ein solches Profil gewählt. Wegen der schnellen Pulse werden Ferrite als Jochmaterial verwendet. Da Ferrite schlecht leiten, verringert dies die Wirbelstromverluste gegenüber konventionellen Eisenblech-Jochen ganz erheblich.

Joch und Gehäuse

Der Tunejump-Quadrupol besteht somit aus 60 Ferritquadern mit den Maßen 130 x 30 x 50 mm3 und 60 Ferritquadern mit den Maßen 70 x 30 x 50mm3, die wie in der Abbildung gezeigt angeordnet werden und zusammen das Joch bilden.

Die Ferritblöcke lassen sich nicht in herkömmlichem Sinn verschrauben. Es wurde deshalb ein spezielles sehr stabiles Gehäuse konstruiert, das Zusammenhalt, mechanische Stabilität und Justagemöglichkeiten sicherstellt

Die Ferrite werden durch im Gehäuse vorgesehene Schrauben von außen aus allen drei Richtungen in ihre Position gedrückt und halten dann dort fugenlos allein durch die Reibung. Gleichzeitig wird so auch die Spule und die Vakuumkammer von speziell konstruierten formgebenden Innenteilen aus strahlenbeständigem Kunststoff fixiert. Nirgendwo wirken die Schrauben direkt auf die Ferrite ein. Es wurde jeweils eine Aluminiumplatte als Druckfänger eingelegt. Dies schafft außerdem etwas Elastizität.

Wichtig hierbei ist, dem dynamischen Druck bein gepulsten Betrieb entgegenzuwirken und Fertigungstoleranzen der einzelnen Ferritblöcke auszugleichen. Die Kupferleiter werden zusätzlich noch von einer 25 µm dicken Kapton-Folie isoliert.

Die Vakuumkammer wird nicht fest eingespannt. Sie hat 0,2 mm Spiel im Innern. Dies ist nötig, um auch hier Fertigungstoleranzen auszugleichen, aber auch jegliche Spannung von der empfindlichen Keramik zu nehmen.

Vakuumkammer

Die Vakuumkammer für die Quadrupole muß verschiedene Anforderungen erfüllen:

Erstens darf sie nicht aus ferromagnetischem Material sein. Sie darf ebenfalls nicht aus leitendem Material sein, da sonst durch Wirbelströme beim Pulsen das Magnetfeld abgeschirmt wird. Es kommen also nur keramische Kammern in Frage. Für solche Zwecke verwendet man üblicherweise Rohre aus Aluminiumoxyd-Keramik. Diese Keramikrohre müssen durch eine spezielle Löttechnik mit Flanschen versehen werden.

Zweitens stellt sich das Problem der Abschirmung des Strahls vor elektrischen Feldern, die durch lokale Aufladung der Keramikkammern entstehen können. Auch muß verhindert werden, daß das durch die Keramik unterbrochene Strahlrohr einen HF-Resonator bildet. Die Bunchstruktur des umlaufenden Strahls mit einer Hauptfrequenzkomponente von 500 MHz kann nämlich dazu führen, daß sich in diesen Hohlräumen störende elektrische Felder bilden (sogenannte Wakefields), die auch zu stehenden Wellen führen können. Dies ist ungünstig, da diese elektrischen Felder eine schädliche Wirkung auf den Strahl haben können. Im schlimmsten Fall führen diese Störungen zu kohärenten Instabilitäten, Bunchverlängerungen oder zu parasitären Energieverlusten, die die Hohlräume stark aufheizen können.

Um dies von vorneherein zu verhindern, muß die Keramikkammer von innen mit einer leitenden Schicht versehen werden. Hier kommt im Prinzip jedes Metall in Frage, solange sich genügend dünne Schichten aufbringen lassen (typ. etwa 10 µm), und solange diese Schichten ultrahochvakuumtauglich sind, also bei Strahlenbelastung weder abdampfen noch sonstige Verunreinigungen abgeben.

Letzteres stellte sich als das Hauptproblem heraus, da nur wenige Firmen Techniken entwickelt haben, eine solche Beschichtung herzustellen. Beschichtungstechniken für MoMn (Friatec) und für Titan (Metaceram und CERN) konnten von nur wenigen Firmen angeboten werden. Aufgrund der allgemeinen Erfahrung an Beschleunigern wurde eine Titanbeschichtung bevorzugt. Sie erfüllt alle Voraussetzungen bezüglich Haftung, Strahlenbeständigkeit und Gleichmäßigkeit der Beschichtung. Der Auftrag wurde an die Pariser Firma Metaceram vergeben, die eine am CERN entwickelte Beschichtungstechnik übernommen und weiterentwickelt hat.

Aus Stabilitätsgründen müssen die Keramikrohre eine Stärke von 5 mm haben.

Spulenköpfe

Die Spulenköpfe sind ein besonderes Problem. Ziel bei ihrer Konstruktion war es, eine kleine Induktivität zu erzielen und gleichzeitig longitudinale Magnetfelder auf der Strahlachse so weit wie möglich zu verhindern. Dabei muß man einen Kompromiß eingehen, denn enger an der Quadrupolmitte geführte Leiterverschaltungen führen zu einer kleineren Induktivität, verursachen aber auch größere Stör- und Randfelder.

Die Auslegung der Spulenköpfe erfüllt die Anforderungen weitgehend.

Durch die jeweils gegenläufige Stromführung für die vier Quadranten in einer etwa kleeblattartigen Struktur kann erreicht werden, daß die durch diese Leiterschleifen entstehenden Solenoidfelder relativ klein sind und sich auf der Strahlachse gerade kompensieren.

Ein Foto eines Sprungquadrupols ohne Vakuumkammer finden Sie hier.

Die Quadrupolmagnete waren im Frühjahr 1998 fertiggestellt und konnten im Sommer 1998 in den Stretcherring eingebaut werden. Hierzu war aus Platzgründen ein größerer Umbau der Resonantorcavities von ELSA nötig. Die Netzgeräte wurden dann im Spätsommer 1998 geliefert.

Kalibration

Die Kalibration der Sprungquadrupole geschah mit Hilfe des Beschleunigers. Von einem beliebigen vertikalen Arbeitspunkt, der über eine Frequenzmessung bestimmt wird, wird mit den Sprungquadrupolen mit wachsender Amplitude solange gesprungen, bis die nächstgelegene optische Resonanz erreicht ist, erkennbar an raschem Strahlverlust. Dies wird mit verschiedenen Ausgangsarbeitspunkten gemacht, so ergibt sich der Kalibrationsfaktor.

Polarisationserhaltung

Das Arbeitspunktsprungsystem wurde Anfang 1999 erfolgreich in Betrieb genommen. Zunächst wurde mit nur einem Puls die Resonanz bei 2,0 GeV übersprungen.

Hierbei wurden Sprungamplitude und Sprungzeitpunkt experimentell optimiert. Im Herbst 1999 war das gesamte System fertig realisiert und in die bestehende Beschleunigerkontrollsystemstruktur integriert. Nun können alle 5 Pulse mit variablen Flanken eingesetzt werden. Seit Ende 1999 werden die starken intrinsischen Resonanzen bei 2,0 GeV und 2,9 GeV routinemäßig übersprungen.